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Der Mäuseturm
Friedrich Gottschalck

Wer die reizenden Gegenden des Rheins von Mainz bis Koblenz durchwanderte, oder auf den klaren Fluten des alten deutschen Stroms die großen Bilder einer großen Natur vor dem trunkenen Auge magisch vorüberziehen ließ, dem zaubert auch gewiss die Erinnerung das Bild des alten wankenden Turms herbei, dessen Namen er hier als Überschrift liest; sieht ihn wieder vor sich, wie er auf der kleinen Insel unter Bingen, nahe dem linken Ufer, dem Rhein entsteigt, und hört noch den geschwätzigen Schiffer, der ihm mit ernster Miene die seltsame Mähre des Turms erzählte, und schaudernd, ob des schrecklichen Beispiels von bestrafter Pfaffengrausamkeit alter Zeiten, ein »Gott sei bei uns!« ausrief.

Es war nämlich im Jahre nach Christi Geburt 968, als Hatto II., der Ostfranken Herzog, mit dem Beinamen Bonosus, Abt zu Fulda, ein Mann von großer Klugheit und überhaupt glänzenden Geistesgaben, zum Erzbischof von Mainz erwählt ward. Er war aber ein hartherziger Mann, und dem Geize sehr ergeben, häufte daher Schätze auf Schätze, und verwahrte sie sorgfältig.

Während seiner Regierung geschah es nun, dass zu Mainz und in der umliegenden Gegend eine so große Hungersnot eintrat, dass die Armen, aus Mangel an Lebensmitteln ihr Leben nicht mehr zu fristen vermögend, dahin starben. Ein großer Haufe drang vor Hatto's Schloss, und bestürmte ihn mit flehentlichen Bitten um Linderung ihrer Not.

Der hartherzige Mann verweigerte es ihnen, und schalt sie, dass sie müßiges schlechtes Volk wären, und nicht arbeiten wollten. Die Armen wurden ungestümer, und forderten mit furchtbarer Stimme Brot. Da ließ Hatto eine große Anzahl Hungriger, unter dem Scheine, als sollten Früchte und Lebensmittel unter sie ausgeteilt werden, in einige Kornhäuser sich sammeln, ließ sie dann zuschließen und in Brand stecken, so dass alle den elenden Tod in den Flammen starben; und während der Unglücklichen Klagegeschrei aus dem Feuer himmelan stieg, rief er mit ruchloser Fühllosigkeit den Mithelfern des Verbrechens zu: »Hört ihr, wie die Mäuse pfeifen!«

Aber es schwieg nicht bei dieser Gräueltat die Rache des Himmels, die einen wunderbaren und noch nie erhörten Tod über Hatto verhängte. Es entstand nämlich und stürzte aus der Asche der erbärmlich Verbrannten ein solches Heer Mäuse auf ihn zu, dass, wohin er sich auch wenden mochte, diese Auszuschweißende mit Bissen ihn verfolgten. Flüchtete er sich auf die steilsten und höchsten Örter, - an den Wänden hinauf kletterten sie ihm nach. Schloss er sich noch so eng ein, so drangen sie durch die kleinsten Ritzen, stürmten in überschwänglicher Menge auf ihn los, und bissen, zerfleischten und zernagten ihn. Und so groß war ihr Ungestüm, dass, je heftiger man sie abzutreiben suchte, mit desto stärkerer und erneuerter Wut sie auf ihn los gingen, - ja, wo sie an Wänden und Tapeten seinen Namen fanden, den nagten sie weg.

Als sich nun der Bischof in dieser jämmerlichen Lage zu Lande nirgends sicher sah, da suchte er im Wasser Hülfe. Er ließ deshalb schleunig einen Turm in den Rhein bauen, und floh in einem Nachen dahin. Durch doppeltes Bollwerk sich sicher während, hoffte er, der reißende Strom werde den Mäusen den Zugang zu ihm verwehren, und er so vor ihrer Wut gerettet sein. Allein auch hier entging er der göttlichen Rache nicht. Die Mäuse schwammen in so ungeheurer Anzahl über den Strom, dass sie, obgleich eine Menge ersoff, dennoch Tausende am Turme anlangten. Nun kletterten sie an den Mauern hinauf, drangen überall ein, dem Bischofe nach, und zerfleischten ihn so, dass er endlich des jämmerlichsten Todes sterben musste.