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Der Räuber und die Haustiere
Märchen aus der Schweiz


Da war einmal ein Müllersknecht, der hatte seinem Herrn schon viele Jahre lang treu und fleißig gedient, und war alt geworden in der Mühle, also dass die schwere Arbeit, die er hier zu verrichten hatte, endlich über seine Kräfte ging.

Da sprach er eines Morgens zu seinem Herrn: »Ich kann dir nicht länger dienen, ich bin zu schwach. Entlass mich deshalb und gib mir meinen Lohn! «

Der Müller sagte: »Jetzt ist nicht die Wanderzeit der Knechte. Übrigens kannst du gehen, wenn du willst, aber Lohn bekommst du nicht. «

Da wollte der alte Knecht lieber auf seinen Lohn verzichten, als sich noch länger in der Mühle so abzuquälen, und verabschiedete sich von seinem Herrn.

Ehe er aber das Haus verließ, ging er noch zu den Tieren, die er bis dahin gefüttert und gepflegt hatte, um ihnen Lebwohl zu sagen.

Als er nun zuerst von dem Pferde Abschied nahm, sprach es zu ihm: »Wo willst du denn hin? «

»Ich muss fort«, sagte er, »ich kann's hier nicht länger aushalten. «

Und wie er dann weiterging, folgte das Pferd ihm nach. Darauf begab er sich zu dem Ochsen, streichelte ihn noch einmal und sprach: »Jetzt behüt' dich Gott, Alter! «

»Wo willst du denn hin? « sprach der Ochs.

»Ach, ich muss fort, ich kann's hier nicht länger aushalten«, sagte der Müllersknecht und ging traurig fort, um noch von dem Hunde Abschied zu nehmen. Der Ochs aber zog hinter ihm her wie das Pferd. Und ebenso machten es die übrigen Haustiere, denen er Adieu sagte, nämlich der Hund, die Katze und die Gans.

Als er nun draußen im Freien war und sah, dass die treuen Tiere ihm nachzogen, redete er ihnen freundlich zu, dass sie doch wieder umkehren und daheim bleiben möchten. »Ich habe jetzt selbst nichts mehr«, sprach er, »und kann nicht mehr für euch sorgen. «

Aber die Tiere erklärten ihm, dass sie ihn nicht verlassen würden, und zogen vergnügt hinter ihm drein.

Da kamen sie nach etlichen Tagen in einen großen Wald. Das Pferd und der Ochs fanden hier gutes Gras. Auch die Gans und der Hahn ließen sich's schmecken. Die anderen Tiere aber, die Katze und der Hund, die mussten Hunger leiden, wie der alte Müllersknecht, aber knurrten und murrten nicht darüber. Endlich, als sie ganz tief in den Wald hineingekommen waren, sahen sie auf einmal ein schönes großes Haus vor sich stehen. Das war aber fest zugeschlossen; nur ein Stall stand offen und war leer. Und von hier aus konnte man durch die Scheuer in das Haus kommen. Weil nun niemand in dem Haus zu sehen war, so beschloss der Knecht, mit seinen Tieren dazubleiben, und wies einem jeden seinen Platz an. Das Pferd stellte er vorn in den Stall. Den Ochs führte er auf die andere Seite. Der Hahn bekam seinen Platz auf dem Dache, der Hund auf dem Miste, die Katze auf dem Feuerherde, die Gans hinter dem Ofen. Dann reichte er jedem sein Futter, das er in dem Hause reichlich vorfand, und er selbst aß und trank, was er mochte, und legte sich dann schlafen in ein gutes Bett, das in der Kammer fertig dastand.

Als es nun schon Nacht war, kam der Räuber, dem dies Waldhaus gehörte, zurück. Wie der aber in den Hof trat, sprang sogleich der Hund wie wütend auf ihn los und bellte ihn an. Dann schrie der Hahn vom Dache herunter: »Kikeriki! Kikeriki!« dass es dem Räuber angst und bange wurde, denn er hatte in seinem Leben noch keine Haustiere gesehen, die mit den Menschen zusammenleben, sondern kannte bloß die wilden Tiere des Waldes. Deshalb nahm er Reißaus und sprang eilig in den Stall. Aber da schlug das Pferd hinten aus und traf ihn in die Seite, dass er um und um taumelte und sich nur mit Mühe in die hintere Seite des Stalles flüchten konnte. Kaum aber war er hier angekommen, so drehte sich auch schon der Ochse um und wollte ihn auf seine Hörner nehmen. Da bekam er einen neuen Schrecken und lief, was er konnte, durch die Scheuer hindurch und dann in die Küche, um ein Licht anzuzünden und zu sehen, was da los sei. Wie er nun auf dem Herde herumtastete und die Katze anrührte, fuhr die auf ihn los und kratzte ihn dermaßen mit ihren Krallen, dass er Hals über Kopf davonsprang und sich eben in der Stube hinter den Ofen verstecken wollte. Da wachte aber die Gans auf und zeterte und schlug mit den Flügeln, dass es dem Räuber Höllenangst wurde und er sich in die Kammer flüchtete. Da schnarchte nun der Müllersknecht in dem Bette so kräftig wie ein schnurrendes Spinnrad, dass der Räuber meinte, die ganze Kammer sei mit Leuten angefüllt. Da überfiel ihn ein arges Grauen und Grausen, und er lief schnell zum Haus hinaus und rannte in den Wald hinein, und stand nicht eher still, als bis er seine Raubgesellen gefunden hatte.

Da fing er nun an zu erzählen: »Ich weiß nicht, was in unserem Haus vorgegangen ist, es wohnt ein ganz fremdes Volk darin. Als ich in den Hof trat, sprang mir ein großer wilder Mann entgegen und schalt und brüllte so grimmig, dass ich dachte, er würde mich umbringen. Ein anderer reizte ihn noch auf und rief vom Dache herunter: >Gib 'in au für mi! Gib 'in au für mi! < Da mir's der erste schon arg genug machte, so wollte ich nicht warten, bis noch mehr über mich herfielen und flüchtete mich in den Stall. Aber da hat ein Schuhknecht mir einen Leisten an die Seite geworfen, dass ich's noch spüre. Und als ich dann hinten in den Stall kam, stand da ein Gabelmacher und wollte mich mit seiner Gabel aufspießen. Und als ich in die Küche kam, saß da ein Hechelmacher und schlug mir seine Hechel in die Hand. Und als ich in die Stube sprang und mich hinter dem Ofen verstecken wollte, da schlug mich ein Schaufelmacher mit seiner Schaufel. Als ich aber endlich in die Kammer lief, da schnarchten darin noch so viele andere, dass ich nur froh sein musste, als ich lebendig wieder draußen war. «

Als die Räuber dies hörten, entsetzten sich alle so sehr, dass keiner Lust hatte, in das Haus zu gehen. Nein, sie meinten, die ganze Umgebung sei durch dies fremde Volk unsicher geworden und zogen noch in selbiger Nacht fort, weit weg in ein anderes Land, und sind nie wiedergekommen.

Da lebte nun der Müllersknecht mit seinen treuen Tieren in Ruhe und Frieden in dem Hause der Räuber und brauchte sich nicht mehr zu plagen in seinen alten Tagen, denn der schöne Garten neben dem Hause trug ihm jährlich mehr Obst, Gemüse und allerlei Nahrung, als er und seine Tiere verzehren konnten.