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Das Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht
Schwäbisches Volksmärchen - Ernst Heinrich Meier


Es war einmal ein König von Holland, der ließ in seinem Reiche bekannt machen, dass wer ein Schiff bauen könne, das zu Wasser und zu Land gehe, der dürfe seine Tochter heiraten und solle König werden. Da war nun ein reicher Müller in Holland, der hatte drei Söhne, und sprach zu ihnen: »Ich will gern alles aufwenden, was ich habe; versucht es doch, ob nicht einer von Euch ein solches Schiff zuwege bringt!« Ja, das wollten sie alle drei recht gerne tun und stritten sich darum, wer's zuerst probieren dürfe, bis dass endlich der Vater gebot: der Älteste solle den Anfang machen. Er gab ihm Käse, Brod und Wein und schickte ihn mit seinen Arbeitern in den Wald, um Holz zu fällen; und als sie einen Tagelang darin gearbeitet hatten, kam ein alter Mann daher und bat um ein Stück Brot. Der Sohn aber sagte: »ich habe nur Brot für mich und meine Leute, ich kann Dir nichts abgeben.« »Was machen denn die Leute da?« fragte der alte Mann. »Ein Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht!« sagte der andere. »Das werden sie wohl bleiben lassen!« sagte der alte Mann und ging weiter. Und wie er's gesagt hatte, so geschah es auch; denn sie arbeiteten ganz umsonst und konnten ein solches Schiff nicht zu Stande bringen.

Als der älteste Sohn nun wieder nach Haus gekommen war, so zog der zweite aus, nahm Zimmerleute mit und Brot und Käse und Wein, und fing auch an, im Walde Holz zu hauen. Da kam derselbe alte Mann zu ihm her und bat um ein Stück Brot, erhielt aber zur Antwort, dass für fremde Leute kein Brot da sei. Daraus fragte der alte Mann: »Was wollt Ihr denn hier machen?« »Ein Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht!« sagte der Müllers Sohn. »Ei, das könnt Ihr ja nicht!« sprach der alte Mann und ging fort. – Es war aber auch so; die Zimmerleute mochten sich besinnen so viel sie wollten, sie wussten gar nicht, wie sie ein solches Schiff einrichten sollten, und zogen mit einander wieder heim.

Jetzt kam die Reihe an den jüngsten Sohn, der hieß Hans, der nahm ebenfalls Arbeitsleute an und sein Vater gab ihm Brot, Käse und Wein, und so zog er in den Wald und legte hurtig Hand ans Werk. – Da kam zu ihm der alte Mann und bat um ein Stückchen Brot. Sogleich ging Hans hin, holte Brot und Käs und ein Glas Wein und gab es dem alten Manne, und nötigte ihn, dass er sich doch ans Feuer setzen und sich wärmen möchte. Das tat der alte Mann gern und fragte endlich, was sie denn da machen wollten? »Ein Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht,« sagte Hans. »Meine zwei Brüder haben's schon probiert, aber es ist ihnen nicht gelungen; jetzt will ich sehen, wie es mir geht; denn wer ein solches Schiff dem König bringt, der kriegt seine Tochter und das Königreich.« Da sprach der alte Mann: »Deine Leute können es nicht zuwege bringen; weil Du aber der Beste von Deinen Brüdern bist, so will ich Dir eins machen.« Darauf ging er fort, während Hans seine Leute noch einige Tage lang auf gut Glück beschäftigte, obwohl sie nichts zu Stande brachten.

Dann kam mit einem Male der alte Mann daher gefahren und übergab dem Hans das Schiff, das zu Wasser und zu Lande ging. Nun sollten sich die Arbeiter sogleich hineinsetzen, dass er's probieren könne; allein sie hatten Angst und mochten's nicht wagen. Der Hans aber sagte, sie sollten es nur dreist tun, er selbst wolle fahren, und so setzten sie sich alle hinein und Hans fuhr sie auch glücklich nach seines Vaters Haus, das ging, hast mich nicht gesehen!

Als nun die Brüder, welche den Hans immer für den Allerdümmsten gehalten hatten, sahen, dass es ihm gelungen war, ein Schiff zu machen, womit man zu Wasser wie zu Lande fahren konnte, so ärgerten sie sich und wurden gegen ihn falsch und feindselig und beschlossen, dass sie ihn umbringen wollten. Der Vater merkte das und gab seinem Hans einen Wink, dass er noch in derselbigen Nacht fortreisen und mit seinem Schiffe nach der Hauptstadt des Königs fahren sollte; und nachdem er ihn gehörig mit Essen und Trinken versehen hatte, fuhr Hans davon.

Wie er nun mit seinem Schiffe dahinsegelte, sah er einen Mann am Wege stehen, der hatte ein Gewehr angelegt und zielte. Da hielt Hans sein Schiff an und sprach: »was machst Du da?« Der Jäger sagte: »ich will einen Spatzen schießen, der auf der Kirchturmspitze in Berlin sitzt.« Hans meinte, das sei nicht möglich; der Schütze aber sagte, dass er auf vierhundert Stunden weit jeden Vogel treffen könnte. Da fragte ihn Hans, ob er nicht mitfahren wolle? Ja, das wollte er recht gern; aber er habe nur kein Geld, sagte er. »Das tut nichts!« sagte Hans, und darauf setzte er sich in das Schiff und sie fuhren mit einander weiter.

Nicht lange nachher trafen sie einen Mann, der hatte auf der rechten Seite ein ungeheuer langes Ohr, das reichte bis auf die Erde. Da hielt der Hans wieder still und fragte den Mann, was er denn mit dem langen Ohr anfange? »Damit, sprach er, kann ich auf vierhundert Stunden weit alles hören, was gesprochen wird.« »Ei, so horch' einmal, sagte Hans, was man im Schlosse zu Amsterdam spricht!« Da horchte der Langohr ein Weilchen hin und sagte: »Man spricht dort in diesem Augenblicke von einem Schiffe, das zu Wasser und zu Land geht, und sagt: es sei nicht möglich, dass man so eins machen könne.« »Willst Du nicht mitfahren?« fragte Hans. Ja, das wollte er wohl; aber er sagte, dass er kein Geld habe. »Das tut nichts!« sagte Hans und ließ ihn einsitzen und fuhr weiter.

Bald trafen sie wieder einen Mann am Wege, der hatte ganz gewaltig große Stiefel an. Fragte ihn Hans, was er mit den großen Stiefeln mache? »In diesen Stiefeln, sagte der Mann, kann ich schneller laufen als die Eisenbahn.« »Ei, willst Du nicht mitfahren?« fragte ihn Hans. Ja, dazu hätte er wohl Lust, meinte er; aber er hätte kein Geld, dass er's bezahlen könne. »Das tut nichts!« sagte Hans, und so fuhr der Schnellläufer auch mit.

Über eine Weile sahen sie noch einen vierten Mann am Wege; dieser Mann hatte in seiner Hintertür einen großen Zapfen stecken, dass der Hans sich schier verwunderte und sein Schiff anhielt und den Mann fragte: weshalb er dahinten einen solchen Zapfen habe? »Das hat guten Grund, sagte der Mann; denn wenn ich den Zapfen herauszöge, könnte ich ein ganzes Königreich vollmachen.« »Ei, sagte Hans, fahr mit mir! mein Vater hat viel Land und braucht alle Jahre viel Dünger, den er teuer bezahlen muss; er wird Dich gern in seinen Dienst nehmen.« Der Zapfenmann aber sagte: »ich muss auch sehr viel essen, und Geld hab ich keins!« Hans sagte, das sei einerlei, er solle nur mitfahren, und so stieg er ein und fuhr mit nach Amsterdam.

Sobald Hans dort ankam, fuhr er aufs Schloss, übergab das Schiff mit den vier Männern der Wache zur Beaufsichtigung und ging selbst gerades Wegs zum König und sagte: »ich habe da ein Schiff, das zu Wasser und zu Lande geht!« Sprach der König zu ihm: ob er es auch selbst gemacht habe? und als der Hans ja sagte, sagte der König: so solle er einmal ein Stück heraussägen und es dann wieder einsetzen. Da sagte Hans: »ich habe ein ganzes und heiles Schiff gemacht; aber flicken tu ich es nicht!« Als der König den Hans auf die Art nicht los werden konnte, ließ er seine Minister kommen und beratschlagte mit ihnen, was hier zu machen sei; denn er meinte, dem dummen Burschen könne er doch nicht seine Tochter geben, und noch viel weniger könne er König werden.

Da sagte einer der Minister: der König solle ihm doch eine Arbeit aufgeben, die er gewiss nicht ausführen könne und ihm sagen, dass wenn er dies vollbringe, so solle er die Tochter und das Reich haben; er dürfe ihn ja nur nach dem und dem Brunnen schicken, der dreihundert und fünfzig Stunden weit weg liege und ihm sagen, dass er binnen drei Stunden von dorther eine Flasche Wasser holen müsse; das werde der Hans wohl bleiben lassen. - Der Rat gefiel dem Könige und er sprach zu Hansen: »Hör' einmal, Du musst mir vor der Hochzeit erst noch eine Flasche Wasser aus dem und dem Brunnen holen, und zwar binnen drei Stunden, von jetzt zehn Uhr an bis heute Mittag um eins; dann sollst Du Alles haben, was ich Dir versprochen.«

Darauf lief der Hans flink zu seinen Leuten, und der Läufer musste die großen Stiefel anziehen und Hans fuhr ihn in seinem Schiffe übers Wasser; dann lief der Mann in seinen Stiefeln zu dem Brunnen, schöpfte eine Flasche voll Wasser daraus und wollte sich auf den Rückweg begeben, dachte aber: »du hast noch Zeit, du sollst dich erst ein wenig ausruhen!« und setzte sich unter einen Baum und schlief ein. - Nun wartete der Hans und wartete, und der Läufer wollte immer nicht kommen. Es hatte schon zwölf geschlagen; da sagte endlich Hans zu dem Langohr: »Ei, horch doch einmal hin, wo der Läufer wohl stecken mag!« Das tat er auch sogleich, legte sein Ohr an die Erde und sprach: »der ist bei dem Brunnen eingeschlafen, ich höre ihn dort schnarchen.« Da nahm der Scharfschütze seine Büchse, lud einen Kieselstein hinein und schoss den dicht über den Kopf des Läufers hin, dass es sauste und pfiff. Davon wachte er sogleich auf und lief fort und kam mit seiner Flasche noch zu rechter Zeit an. Hans brachte sie sogleich dem König und verlangte nun die Tochter und das Reich. Da war Holland wieder in Not; denn das hatte kein Mensch gedacht, dass der Hans so schnell das Wasser herbeischaffen könne. Weil der König nun aber keinen Ausweg mehr wusste, fragte er endlich den Hans: ob's ihm nicht einerlei sei, wenn er Geld bekäme anstatt der Prinzessin und des Reiches? Hans sagte ja, er sei damit zufrieden, aber er verlange so viel, dass das ganze Schiff davon voll würde. - Das musste der König nun wohl zugeben, besprach sich aber mit seinen Ministern, dass man dem Hans, sobald er mit dem Gelde fortziehe, ein halb Regiment rote Husaren nachschicke, die sollten ihm die Hälfte wieder abnehmen.

Nun wurde eine Tonne Goldes nach der andern in das Schiff gebracht, bis es voll war, worauf Hans mit seinen Gehilfen die Rückreise antrat.

Als sie eben zum Tore hinausfahren wollten, sagte Hans zu dem Langohr, er solle einmal horchen, was man im Schloss jetzt wohl spreche? Da horchte er auf und sagte: »Es wird so eben ein halb Regiment Husaren abgeschickt, die sollen dem König das Geld zurückbringen.« Es dauerte auch nicht lange, da kamen die Rotjacken daher gesprengt; und als sie nah genug waren, sprach Hans zu dem Zapfenmann: »Du könntest wohl einmal deinen Zapfen herausziehen und den Husaren deinen Rücken zuwenden, dass sie wieder umkehren müssten.« Dazu war der Mann sogleich bereit, zog den Zapfen heraus, und da ging's wie aus einer Feuerspritze auf die roten Husaren los, dass sie gar nicht wussten wie ihnen geschah; und als sie nun Alle übel zugerichtet waren, und es nicht länger aushalten konnten, wandten sie ihre Pferde um und ritten zum Schlosse zurück. - Wie aber der König sie zurückkommen sah und hörte, dass sie dem Hans nichts abgenommen hatten, ward er sehr zornig und sprach: »das habe ich vorher gewusst, dass die gelben nichts ausrichten würden; deshalb hatte ich ausdrücklich die roten dazu bestimmt; aber so geht's, wenn meine Befehle nicht pünktlich ausgeführt werden!«

 Indessen segelte Hans mit seinen Gefährten ungestört der Heimat zu und gab hier einem jeden sein Teil von dem Gelde, so dass sie alle mehr bekamen, als sie jemals in ihrem Leben verzehren konnten.