Der kluge Schwiegersohn

Vor langer Zeit gab es einen König, der hatte drei Töchter und keinen einzigen Sohn. Und da er sich Sorgen um seine Nachfolge machte, ließ er ausrufen, dass er seine drei Töchter verheiraten wolle und dass der klügste von den Schwiegersöhnen einmal sein Nachfolger auf dem Thron sein solle.

Und er ließ seine drei Töchter kommen und hat ihnen gesagt: »Es werden viele Freier kommen, aber nur wenige davon sind klug, die meisten aber dumm. Ihr sollt ihnen nun drei Fragen vorlegen, und wer alle drei Fragen richtig beantworten kann, den sollt ihr nehmen, und wer auch nur eine Frage nicht zu beantworten weiß, den sollt ihr wieder heimschicken.«

Da fragten die Prinzessinnen ihren Vater: »Und welche Fragen sollen wir stellen?« Und der König darauf: »So sollt ihr fragen: i. Welcher Mensch wurde nicht geboren und ist trotzdem gestorben? 2. Wann waren alle Menschen der Welt auf einem kleinen Fleck beisammen? 3. Wer war ein armer Fischer und ist doch Herr über alle Menschen geworden.«

Da haben die drei Mädchen nicht gewusst, wie die richtige Lösung lauten sollte, und sie haben ihren Vater gefragt: »Vater, sag uns, wie ist die richtige Antwort?«

Doch der Vater hat erst eine Weile geschwiegen, und dann hat er gesagt: »Die richtige Antwort werdet ihr selbst erkennen, wenn der Gefragte sie ausspricht.«

Danach sind viele junge Männer gekommen, reiche und vornehme Burschen, Kaufleute und Ärzte, sogar Lehrer sind unter ihnen gewesen. Und sie haben sich die drei Töchter des Königs angesehen, und dann haben sie sich in drei Reihen aufgestellt, um sich jeweils bei einer Prinzessin zu melden und sich die Fragen vorlegen zu lassen.

Aber die beiden älteren Töchter des Königs haben bei sich gedacht: >Warum sollen wir einen alten und weisen Mann nehmen, wenn wir einen jungen und hübschen Burschen haben können?< Und sie haben sich - eine jede von ihnen beiden - einen reichen und schönen Mann ausgesucht.

Und es ist so gekommen, dass niemand alle drei Fragen beantworten konnte. Viele sind schon bei der ersten Frage stumm geblieben und dann betrübt nach Hause geschlichen. Aber als die beiden Burschen zu der Königstochter kamen, um die sie freiten, haben die Mädchen - ein jedes für sich, versteht sich - sie nur gefragt: »Willst du mich heiraten?« Und das war nun eine Frage, die auch der Dümmste hätte beantworten können.

Und danach sind die Älteste und die Mittlere mit ihren Freiern zum König gegangen und haben gesagt: »Hier Vater ist der Mann, der meine Fragen gut beantwortet hat. Ihn werde ich also heiraten.«

Unterdessen hat die jüngste Tochter des Königs ihre Bewerber - das war eine lange, lange Reihe, denn die jüngste war eine Schönheit gewissenhaft alle gefragt, und keiner konnte alle drei Fragen beantworten. Am Schluss war nur noch ein armer Fischer übrig, den hatten die anderen, die Vornehmeren auf den letzten Platz in der Reihe verwiesen, und dort hat er geduldig gewartet. Und endlich ist er zur Prinzessin gerufen worden.

Da hat sie zu fragen angefangen: »Welcher Mensch wurde nicht geboren und ist trotzdem gestorben?« - »Das war Adam, denn er wurde von Gott aus Lehm geformt, also hat ihn keine Frau zur Welt gebracht, aber er hat dennoch sterben müssen.« - »Gut. Die erste Frage hast du richtig beantwortet. Nun also die zweite Frage: Wann waren alle Menschen der Welt auf einem kleinen Fleck beisammen?« - »Auf der Arche Noahs waren alle Menschen der Welt auf einem kleinen Fleck beisammen, denn alle übrigen waren ertrunken.«

Da freute sich die jüngste, dass der Fischer so klug war, und sie hat in ihrem Herzen zu hoffen angefangen, dass er auch die dritte Frage wüsste, denn sie hat ihn lieb gehabt, und wenn er die Frage nicht beantworten könnte, wäre sie ledig geblieben. Und so hat sie gefragt: »Wer war ein armer Fischer und ist doch Herr über alle Menschen geworden?« - »Das ist der ruhmreiche und erlauchte Apostel, der heilige Petrus, der ein kleiner Fischer war und von Jesus Christus über alle Apostel gesetzt wurde.« - »Du hast alles richtig gesagt, und so sollst du auch mein Mann werden.«

Und die jüngste hat den armen Fischer bei der Hand genommen und ist damit zu ihrem Vater, dem König gegangen. Als der König den Fischer sieht, ist er nicht sehr entzückt, denn die andern beiden Töchter haben reiche Schwiegersöhne ins Haus gebracht. Aber er denkt sich, dass sich noch zeigen wird, wer von den drei Burschen der Klügste ist.

Und man hat alle drei Prinzessinnen zusammen gekrönt, das heißt verheiratet, und als man die Brautpaare herumgeführt hat, da hat der Fischer gelacht. Und gleich nach dem Hochzeitsessen hat der König befohlen: »Die jüngste soll ihren Mann nehmen und den Palast verlassen! Sie hat einen Dummling geheiratet, denn er hat unter der Eheschließung gelacht. Und die drei Fragen hat er entweder durch Zufall erraten, oder meine Tochter hat sich oder mich getäuscht.«

Und so ist die jüngste mit ihrem Mann in ein kleines Häuschen am Meer gezogen, während die Älteste und die Mittlere mit ihren Männern im Palast gewohnt haben. Und nach einiger Zeit, als der König mit seinen Töchtern beim Essen gesessen ist und sie allein gewesen sind, weil die beiden Männer ausgegangen waren, um ihrem Beruf nachzugehen, fragt der König : »Nun verratet mir einmal, was haben eure Männer auf meine Fragen gesagt?«

Da sind die beiden jungen Frauen rot geworden, und die eine hat gestottert: »Ich... ich habe es vergessen. « Und die Mittlere: »Ich kann mich nicht mehr erinnern.«

Der König aber hat deutlich gemerkt, dass die beiden ihn angeschwindelt hatten, und er hat sie aus dem Zimmer verjagt und hat sich sehr geärgert.

Am nächsten Tag, als sein Zorn verraucht war, hat er sich gedacht: >Ich muss einmal nachschauen, was meine jüngste Tochter macht und ob sie mich auch betrogen hat.,

Und er hat sich als Bettler verkleidet und ist zum Häuslein des Fischers am Meer gegangen. Dort hat er angeklopft und mit verstellter Stimme gefragt: »Gebt ihr einem armen Bettler etwas zu essen?« »Aber ja«, hat der Fischer geantwortet, »kommt nur herein, und ihr sollt mit uns, zusammen essen, es ist ja gerade Zeit dafür.«

Und der König ist hineingegangen und hat sich mit den Fischern, das heißt mit seiner jüngsten Tochter und dem Schwiegersohn, zu Tisch gesetzt. Und unterm Essen hat er gefragt: »Sagt mir doch: ich habe einen Bruder, und dessen beide älteren Töchter haben ihn betrogen, denn sie haben ihre Männer für klug ausgegeben, und das sind sie nicht, und nun sitzen sie in seinem Hause und langweilen ihn mit ihrer Dummheit. Was soll er machen? Soll er seine Töchter auspeitschen?«-»Nein«, hat der Fischer gesagt, »Liebe macht blind, und die beiden Frauen sind zwar nicht unschuldig, aber doch auch nicht ganz schuldig. Dein Bruder soll die beiden Töchter und ihre Männer aus dem Hause weisen, aber er soll ihnen ihr Erbgut mitgeben.« - »Und dann hat mein Bruder noch eine dritte Tochter, die hat einen dummen Mann.« - »Und wie hast du bemerkt, dass er dumm ist?« - »Er hat mitten unter den Zeremonien der Krönung, das ist die Hochzeit, gelacht.« - »Und hast du ihn gefragt, warum er mitten unter der Krönung gelacht hat?« - »Verflucht!« sagt der König, »nein, das habe ich nicht. Und kannst du es mir vielleicht sagen?« - »ja«, sagt der Fischer, »das kann ich. Der Mann der jüngsten Tochter hat gelacht, weil er gemerkt hat, dass die anderen beiden gutmütige aber dumme Burschen sind und dass seine beiden Schwägerinnen aus Liebe geschwindelt haben.« - »Soso«, sagt der König, ",und wie hat er das denn gemerkt?« - »Er hat zu dem einen der Burschen gesagt: >Die erste Frage war ja leicht, denn sie war nur zum Schein; kann doch niemand sterben, der nicht geboren worden ist.< Und der Bursche hat darauf gesagt: Ja, so ist es!< Und dann hat er den andern Burschen gefragt: >Hast du die dritte Frage auch nicht herausgebracht, Bruder?" Und der hat geantwortet: >Nein, aber Gottlob sind die Mädchen nicht so streng.< «

Da hat der König ihn angeschaut und hat gesagt: »Du hast mich erkannt! Aber weißt du denn die dritte Frage nicht zu beantworten?« - »0 doch«, sagt der Fischer, »die dritte Frage ist leichter als die erste und die zweite, denn wer den Erzapostelfürsten nicht kennt, ist ein schlechter Christ.«

Da hat der König sich gefreut und er hat ausgerufen: »Von allen sieben war ich selber der größte Dummkopf, und deshalb soll allen verziehen sein. Du aber sollst mit meiner jüngsten zusammen das Land regieren und König werden!«

Und so ist es geschehen.

Und so ist der Fischer König geworden und er lebte mit seiner Frau lange und gut, und wir leben noch besser.

Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt. 27.04.99