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Der Lebensbaum
Marion Wolf


Die Welt war düster und die Menschen vegetierten dahin. Rumpelschrumpel gefiel dies Leben nicht − er träumte vom Paradies. Eines Tages rief er so laut, dass es durch die ständig dahin ziehenden Dunstschwaden hallte: „Ich möchte im Sonnenschein leben!“ Da kam eine Fee, trug ihn in lichte Höhen und setzte ihn in einen sonnigen Garten. Beglückt spazierte er im Himmelslicht umher, aß süße Früchte und genoss den Duft der Blumen.

Plötzlich sah er den Baum des Lebens im Garten stehen: An den Ästen der Kastanie hingen die Nüsse in stachligen Hüllen. Rumpelschrumpel gelüstete es sogleich nach Maronen. Ohne lang nachzudenken hüpfte er in die Höhe, bis er eine Frucht erreichte, und riss sie ab. Wie er sich da verletzte! Die Spitzen drangen in seine Hände, dass das Blut nur so spritzte.

Mit einem Messer löste er die stachlige Pelle, doch die Kastanie im Innern war noch grün. Als er danach langte, um sie trotzdem zu verspeisen, sprang daraus ein nacktes Mädchen mit grünen Haaren und schrie empört: „Kannst Du nicht warten, bis ich reif bin?“ Der Glückssucher glotzte verdutzt − doch ehe er eine Entschuldigung vorbringen konnte, war die zierliche Maid in die Büsche entschlüpft. Rumpelschrumpel wurde tieftraurig. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte, bis die Erde unter ihm davon schwamm. Da saß er plötzlich wieder im kalten Niflheim.

Beleidigt über den Verlust seines Paradieses begann Rumpelschrumpel nun Blumen mit seinem Messer in die Steine zu ritzen. Doch die Blüten sahen plump aus und hatten weder Farbe, noch Duft. „Ach, wäre ich doch im Sonnengarten“, dachte er. Da teilten sich die Nebel, die Wolken rissen auf, ein Regenbogen wölbte sich vor seine Füße und eine himmlische Melodie lockte ihn heim ins Paradies. Rumpelschrumpel lief mit strahlenden Augen zwischen all den Blumen umher und tanzte vor Freude. Schließlich stand er wieder vor dem Kastanienbaum. Die Schoten waren geplatzt und aus den Spalten glänzten braune Früchte.

Eingedenk seiner letzten Erfahrung wagte es Rumpelschrumpel jedoch nicht, sie zu pflücken.
Sittsam setzte er sich unter den Baum des Lebens und wartete, dass ihm die süßen Früchte von selbst in den Schoß fielen.

Da krachte eine Nuss auf seinen Kopf und die Glückselfe sprang heraus. Erstaunt gaffte er sie an und weil er nicht nach ihr griff, lief sie enttäuscht davon.

Jetzt sitzt er im Garten Eden, kratzt sich am Kopf und denkt:

‘Wie man ’s macht, ist ‘s verkehrt...’
 


Dieses Märchen wurde mir von Marion Wolf  zur Verfügung gestellt.
Das Copyright dieses Märchens liegt bei der Autorin: http://dichterseele.beepworld.de

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