zurück || Homepage

Rübezahl
Vierte Legende


So sehr sich's auch des Gnomen Günstling hatte angelegen sein lassen, den wahren Ursprung seines Glücks zu verhehlen, um nicht ungestüme Bittsteller anzureizen, den gebirgischen Patron um ähnliche Spenden mit dreister Zudringlichkeit zu überlaufen, so wurde die Sache doch endlich ruchbar; denn wenn das Geheimnis des Mannes der Frau zwischen den Lippen schwebt, weht es das kleinste Lüftchen fort, wie eine Seifenblase vom Strohhalm. Veitens Frau vertraute es einer verschwiegenen Nachbarin, diese ihrer Gevatterin, diese ihrem Herrn Paten, dem Dorfbarbier, und der allen seinen Bartkunden; so kam's im Dorfe und hernach im ganzen Kirchspiele herum. Da spitzten die verdorbenen Hauswirte, die Lungerer und Müßiggänger das Ohr, zogen scharenweise ins Gebirge, beschimpften den Gnomen, hoben an ihn zu beschwören; zu ihnen gesellten sich Schatzgräber und Landfahrer, die das Gebirge durchkreuzten, allenthalben einschlugen und den Schatz in der Braupfanne zu heben vermeinten. Rübezahl ließ sie eine Zeitlang ihr Wesen treiben, wie sie Lust hatten, achtete es der Mühe nicht wert, sich über die Gauche zu erzürnen, trieb nur seinen Spott mit ihnen, ließ zur Nachtzeit da und dort ein blaues Flämmchen auflodern, und wenn die Laurer kamen, ihre Mützen und Hüte darauf warfen, ließ er sie manchen schweren Geldtopf ausgraben, den sie mit Freuden heimtrugen, neun Tage lang stillschweigend verwahrten, und wenn sie nun hinkamen, den Schatz zu besehen, fanden sie Stank und Unrat im Topf oder Scherben und Steine. Gleichwohl ermüdeten sie nicht, das alte Spiel wieder zu beginnen und neuen Unfug zu treiben. Darüber wurde der Geist endlich unwillig, stäubte das lose Gesindel durch einen kräftigen Steinhagel aus seinem Gebiete hinaus und wurde gegen alle Wanderer so barsch und grämlich, dass keiner ohne Furcht das Gebirge betrat, auch selten ohne Staupe entrann, und der Name Rübezahl wurde nicht mehr gehört im Gebirge bei Menschengedenken.



Eines Tages sonnte sich der Geist an der Hecke seines Gartens; da kam ein Weiblein ihres Weges daher in großer Unbefangenheit, die durch ihren sonderbaren Aufzug seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie hatte ein Kind an der Brust liegen, eins trug sie auf dem Rücken, eins leitete sie an der Hand, und ein etwas größerer Knabe trug einen leeren Korb nebst einem Rechen; denn sie wollte eine Last Laub fürs Vieh laden. Eine Mutter, dachte Rübezahl, ist doch wahrlich ein gutes Geschöpf, schleppt sich mit vier Kindern und wartet dabei ihres Berufs ohne Murren, wird sich noch mit der Bürde des Korbes belasten müssen. Diese Betrachtung versetzte ihn in eine gutmütige Stimmung, die ihn geneigt machte, sich mit der Frau in Unterredung einzulassen. Sie setzte ihre Kinder auf den Rasen und streifte Laub von den Büschen; indes wurde den Kleinen die Zeit lang, und sie fingen an, heftig zu schreien. Alsbald verließ die Mutter ihre Geschäfte, spielte und tändelte mit den Kindern, nahm sie auf, hüpfte mit ihnen singend und scherzend herum, wiegte sie in Schlaf und ging wieder an ihre Arbeit. Bald darauf stachen die Mücken die kleinen Schläfer, sie fingen ihre Symphonien von neuem an; die Mutter wurde darüber nicht ungeduldig, sie lief ins Holz, pflückte Erdbeeren und Himbeeren und legte das kleinste Kind an die Brust. Diese mütterliche Behandlung gefiel dem Gnomen ungemein wohl. Allein der Schreier, der vorher auf der Mutter Rücken ritt, wollte sich durch nichts befriedigen lassen, war ein störrischer, eigensinniger Junge, der die Erdbeeren, die ihm die liebreiche Mutter darreichte, von sich warf und dazu schrie, als wenn er aufgespießt wäre. Darüber riss ihr doch endlich die Geduld aus. «Rübezahl,» rief sie, «komm und friss mir den Schreier!» Augenblicks verzichtbare sich der Geist in der Köhlergestalt, trat zum Weibe und sprach: «Hier bin ich, was ist dein Begehr?» Die Frau geriet über diese Erscheinung in großen Schrecken; da sie aber ein frisches, herzhaftes Weib war, sammelte sie sich bald und fasste Mut. «Ich rief dich nur,» sprach sie, «meine Kinder schweigen zu machen; nun sie ruhig sind, bedarf ich deiner nicht, sei bedankt für deinen guten Willen.» - «Weißt du auch,» entgegnete der Geist, «dass man mich hier nicht ungestraft ruft? Ich halte dich beim Wort, gib mir deinen Schreier, dass ich ihn fresse; so ein leckerer Bissen ist mir lange nicht vorgekommen.» Darauf streckte er die rußige Hand aus, den Knaben in Empfang zu nehmen.

Wie eine Gluckhenne, wenn der Weih hoch über dem Dache in den Lüften schwebt oder der schäkerhafte Spitz auf dem Hofe hetzt, mit ängstlichem Glucksen vorerst ihre Küchlein in den sicheren Hühnerkorb lockt, dann ihr Gefieder empor sträubt, die Flügel ausbreitet und mit dem stärkeren Feinde einen ungleichen Kampf beginnt: so fiel das Weib dem schwarzen Köhler wütig in den Bart, ballte die kräftige Faust und rief: «Ungetüm! Das Mutterherz musst du mir erst aus dem Leibe reißen, eh' du mir mein Kind raubest.» Eines so mutvollen Angriffs hatte sich Rübezahl nicht versehen, er wich gleichsam schüchtern zurück; dergleichen handfeste Erfahrungen in der Menschenkunde war ihm noch nie vorgekommen. Er lächelte das Weib freundlich an: «Entrüste dich nicht! Ich bin kein Menschenfresser, wie du wähnest, will dir und deinen Kindern auch kein Leides tun: aber lass mir den Knaben; der Schreier gefällt mir, will ihn halten wie einen Junker, will ihn in Samt und Seide kleiden und einen wackeren Kerl aus ihm ziehen, der Vater und Brüder einst nähren soll. Fordere hundert Schreckenberger, ich zahl sie dir.»

«Ha!» lachte das rasche Weib, «gefällt Euch der Junge? Ja, das ist ein Junge, der wäre mir nicht um aller Welt Schätze feil.»

«Törin!» versetze Rübezahl, «hast du nicht noch drei Kinder, die dir Last und Überdruss machen! Musst sie kümmerlich nähren und dich mit ihnen plagen Tag und Nacht.»

Das Weib: «Wohl wahr, aber dafür bin ich Mutter, muss tun was meines Berufes ist. Kinder machen Überlast, aber auch manche Freunde.»

Der Geist: «Schöne Freunde, sich mit den Bälgen tagtäglich zu schleppen, sie zu gängeln, zu säubern, ihre Unart und Geschrei zu ertragen!»

Sie: «Wahrlich, Herr, Ihr kennt die Mutterfreuden wenig. Alle Arbeit und Mühe versüßt ein einziger freundlicher Anblick, das holde Lächeln und Lallen der kleinen unschuldigen Würmer. - Seht mir nur den Goldjungen da, wie er an mir hängt, der kleine Schmeichler! Nun ist er's nicht gewesen, der geschrien hat. - Ach, hätte ich doch hundert Hände, die euch heben und tragen und für euch arbeiten könnten, ihr lieben Kleinen!»

Der Geist: «So! Hat denn dein Mann keine Hände, die arbeiten können?»

Sie: «O ja, die hat er! Er rührt sie auch, und ich fühl's zuweilen.»

Der Geist aufgebracht: «Wie? Dein Mann erkühnt sich, die Hand gegen dich aufzuheben? Gegen solch ein Weib? Das Genick will ich ihm brechen, dem Mörder!»

Sie lachend: «Da hättet Ihr viel Hälse zu brechen, wenn alle Männer mit dem Halse büßen sollten, die sich an der Frau vergreifen. Die Männer sind ein schlimmes Volk; drum heißt's: Ehestand, Weh ‘stand; muss mich drein ergeben, warum hab' ich gefreit.»

Der Geist: «Nun ja, wenn du wusstest, dass die Männer ein schlimmes Volk sind, so war's auch ein dummer Streich, dass du streitest.»

Sie: «Mag wohl! Aber Steffen war ein flinker Kerl, der guten Erwerb hatte, und ich eine arme Dirne ohne Heiratsgut. Da kam er zu mir, begehrte mich zur Eh', gab mir einen Wildemannstaler auf den Kauf, und der Handel war gemacht. Nachher hat er mir den Taler wieder abgenommen, aber den wilden Mann hab' ich noch.»

Der Geist lächelte: «Vielleicht hast du ihn wild gemacht durch deinen Starrsinn.»

Sie: «O, den hat er mir ausgetrieben! Aber Steffen ist ein Knauser; wenn ich ihm einen Engelgroschen abfordere, so rast er im Hause ärger als Ihr zuzeiten im Gebirge, wirft mir meine Armut vor, und da muss ich schweigen. Wenn ich ihm eine Aussteuer zugebracht hätte, wollt' ich ihm schon den Daumen aufs Auge halten.»

Der Geist: «Was treibt dein Mann für ein Gewerbe?»

Sie: «Er ist ein Glashändler, muss sich seinen Erwerb auch lassen sauer werden; schleppt der arme Tropf die schwere Bürde aus Böhmen herüber jahraus jahrein; wenn ihm nun unterwegs ein Glas zerbricht, muss ich's und die armen Kinder freilich entgelten; aber Liebesschläge tun nicht weh.»

Der Geist: «Du kannst den Mann noch lieben, der dir so übel mitspielt?»

Sie: «Warum nicht lieben? Ist er nicht der Vater meiner Kinder? Die werden alles gutmachen und uns wohl belohnen, wenn sie groß sind.»

Der Geist: «Leidiger Trost! Die Kinder danken auch den Eltern Müh' und Sorgen! Werden dir die Jungen den letzten Heller aus dem Schweißtuch pressen, wenn sie der Kaiser zum Heere schickt ins ferne Ungarland, dass die Türken sie erschlagen.»

Das Weib: «Ei nun, das kümmert mich auch nicht; werden sie erschlagen, so sterben sie für den Kaiser und fürs Vaterland in ihrem Beruf; können aber auch Beute machen und die alten Eltern pflegen.»

Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel nochmals; doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub in den Korb, band obendrauf den kleinen Schreier mit der Leibschnur fest, und Rübezahl wandte sich, als wollte er weiter gehen. Weil aber die Bürde zu schwer war, dass das Weib nicht aufkommen konnte, rief sie ihn zurück: «Ich hab' Euch einmal gerufen,» sprach sie, «helft mir nun auch auf, und wenn Ihr ein übriges tun wollt, so schenkt dem Knaben, der Euch gefallen hat, ein Karfreitagsgröschel zu einem Paar Semmeln; morgen kommt der Vater heim, der wird uns Weißbrot aus Böhmen mitbringen.» Der Geist antwortete: «Aufhelfen will ich dir wohl; aber gibst du mir den Knaben nicht, so soll er auch keine Spende haben.» - «Auch gut!» versetzte das Weib und ging ihres Weges.

Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, dass sie unter der Last schier erlag, und alle zehn Schritt verschnauben musste. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen; sie wähnte, Rübezahl habe ihr eine Posse gespielt und eine Last Steine unter das Laub gesteckt; darum setzte sie den Korb ab auf dem nächsten Rande und stürzte ihn um. Doch es fielen eitel Laubblätter heraus und keine Steine. Also füllte sie ihn wieder zur Hälfte und raffte noch so viel Laub ins Vortuch, wie sie darin fassen konnte; aber bald ward ihr die Last von neuem zu schwer, und sie musste nochmals ausleeren, was die rüstige Frau sehr verwunderte; denn sie hatte gar oft hochgepanzerte Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeiten noch nie gefühlt. Desungeachtet beschickte sie bei ihrer Heimkunft den Haushalt, warf den Ziegen und den jungen Hipplein das Laub vor, gab den Kindern das Abendbrot, brachte sie in Schlaf, betete ihren Abendsegen und schlief flugs und fröhlich ein.

Die frühe Morgenröte und der wache Säugling, der mit lauter Stimme sein Frühstück heischte, weckten das geschäftge Weib zu ihrem Tagewerk aus dem gesunden Schlaf. Sie ging zuerst mit dem Melkfasse ihrer Gewohnheit nach zum Ziegenstall. Welch schreckensvoller Anblick! Das gute, nahrhafte Haustier, die alte Ziege, lag da hart und steif, hatte alle viere von sich gestreckt und war verschieden; die Hipplein aber verdrehten die Augen grässlich im Kopfe, steckten die Zunge von sich, und gewaltsame Zuckungen verrieten, dass sie der Tod ebenfalls schüttele. So ein Unglücksfall war der guten Frau noch nicht begegnet, seitdem sie wirtschaftete; ganz betäubt von Schrecken sank sie auf ein Bündlein Stroh hin, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer der Sterbenden nicht ansehen, und seufzte tief: «Ich unglückliches Weib, was fang ich an! Und was wird mein harter Mann beginnen, wenn er nach Hause kommt? Ach, hin ist mein ganzer Gottessegen auf dieser Welt!» - Augenblicklich strafte sie das Herz dieses Gedankens wegen. «Wenn das liebe Vieh dein ganzer Gottessegen ist auf dieser Welt, was ist denn Steffen und was sind deine Kinder?» Sie schämte sich ihrer Übereilung; lass fahren dahin aller Welt Reichtum, dachte sie, hast du doch noch deinen Mann und deine vier Kinder. Ist doch die Milchquelle für den lieben Säugling noch nicht versiegt, und für die übrigen Kinder ist Wasser im Brunnen. Wenn's auch einen Strauß mit Steffen absetzt und er mich übel schlägt, was ist's mehr als ein böses Ehestündlein? Habe ich doch nichts verwahrlost. Die Ernte steht bevor, da kann ich schneiden gehen, und auf den Winter will ich spinnen bis in die tiefe Mitternacht; eine Ziege wird ja wohl wieder zu erwerben sein, und habe ich die, so wird's auch nicht an Hipplein fehlen.

Indem sie das bei sich gedachte, ward sie wieder frohen Mutes, trocknete ab ihre Tränen, und wie sie die Augen aufhob, lag da vor ihren Füßen ein Blättlein, das flitterte und blinkte so hell, so hoch gelb wie gediegen Gold; sie hob es auf, besah's, und es war schwer wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer Nachbarin, zeigte ihr den Fund mit großer Freude, und diese erkannte es für reines Gold, scherte es ihr ab und zählte ihr dafür zwei Dicktaler bar auf den Tisch. Vergessen war nun all ihr Herzeleid. Solchen Schatz an Barschaft hatte das arme Weib noch nie im Besitz gehabt. Sie lief zum Bäcker, kaufte Strötzel und Butterkringel und eine Hammelkeule für Steffen, die sie zurichten wollte, wenn er müde und hungrig auf den Abend von der Reise käme. Wie zappelten die Kleinen der fröhlichen Mutter entgegen, da sie hereintrat und ihnen ein so ungewohntes Frühstück austeilte! Sie überließ sich ganz der mütterlichen Freude, die hungrige Kinderschar zu füttern; und nun war ihre erste Sorge, das ihrer Meinung nach von einer Bösen getötete Vieh beiseite zu schaffen und dieses häusliche Unglück vor dem Manne so lange wie möglich zu verheimlichen. Aber ihr Erstaunen ging über alles, als sie von ungefähr in den Futtertrog sah und einen ganzen Haufen goldener Blätter darin erblickte. Sie ahnte, woran das Vieh gestorben war, darum schärfte sie geschwind das Küchenmesser, brach den Ziegenleichnam auf und fand im Magenschlunde einen Klumpen Gold, so groß wie ein Paulinerapfel, und so auch im Verhältnis in den Mägen der Zicklein.

Jetzt wusste sie ihres Reichtums kein Ende; doch mit dem Besitz empfand sie auch seine drückenden Sorgen; sie wurde unruhig, scheu, fühlte Herzklopfen, wusste nicht, ob sie den Schatz in die Lade verschließen oder in den Keller vergraben sollte, fürchtete Diebe und Schatzgräber, wollte auch den Knauser Steffen nicht gleich alles wissen lassen, aus gerechter Besorgnis, dass er, vom Wuchergeist angetrieben, den Mammon an sich nehmen und sie dennoch nebst den Kindern darben lassen möchte. Sie sann lange, wie sie's klug damit anstellen möchte, und fand keinen Rat.

Der Pfaffe im Dorfe war der Schutzpatron aller bedrängten Weiber, legte den ungestümen Haustyrannen, wenn Klage einlief, schwere Bußen auf und nahm stets der Weiber Partei. Sie nahm also ihre Zuflucht zu dem trostreichen Seelenpfleger, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer mir Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichtum verholfen, und was sie dabei für Anliegen habe, belegte auch die Wahrheit der Sache mit dem ganzen Schatze, den sie bei sich trug. Der Pfaffe kreuzte sich über das Wunderbare dieser Begebenheit mächtig, freute sich gleichwohl über das Glück des armen Weibes und rückte darauf sein Käpplein hin und her, für sie guten Rat zu suchen, um ohne Spuk und Aussehen sie im ruhigen Besitz ihres Reichtums zu erhalten und auch Mittel auszufinden, dass der zähe Steffen sich dessen nicht bemächtigen könne.

Nachdem er lange überlegt, redete er also: «Hör' an, meine Tochter, ich weiß guten Rat für alles. Wäge mir das Gold, dass ich's dir getreulich aufbewahre; dann will ich einen Brief schreiben in welcher Sprache, der soll dahin lauten: Dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde ging, sei in der Venediger Dienst nach Indien geschifft und daselbst gestorben und habe all sein Gut dir im Testament vermacht, mit der Bedingung, dass der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde, damit es dir allein und keinem anderen zu Nutz komme. Ich begehre weder Lohn noch Dank von dir; nur gedenke, dass du der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den Segen, den dir der Himmel beschert hat, und gelobe ein reiches Messgewand für die Sakristei.» Dieser Rat behagte dem Weibe herrlich; sie gelobte dem Pfarrer das Messgewand; er wog in ihrem Beisein das Gold gewissenhaft bis auf ein Quäntchen aus, legte es in den Kirchenschatz, und das Weib schied mit frohem und leichtem Herzen von ihm.

Rübezahl war nicht minder Weiberpatron als der gutmütige Pfarrer zu Kirsdorf, doch mit Unterschied. Der letztere verehrte das weibliche Geschlecht überhaupt, weil, wie er sagte, die heilige Jungfrau dazu gehöre; jener im Gegenteil hasste das ganze Geschlecht um eines Mädchens willen, das ihn überlistet hatte, obgleich ihn seine Launen zuweilen auf den milden Ton stimmten, ein einzelnes Weiblein in Schutz zu nehmen und ihr gefällig zu sein. So sehr die wackere Dörferin mit ihren Gesinnungen und Benehmen seine Gewogenheit erworben hatte, so ungehalten war er auf den barschen Steffen, trug groß Verlangen, das biedere Weib an ihm zu rächen, ihm eine Posse zu spielen, dass ihm angst und weh dabei würde, und ihn dadurch so kirre zu machen, dass er der Frau untertan würde, und sie ihm nach Wunsch den Daumen aufs Auge halten könne. Zu diesem Vorhaben sattelte er den raschen Morgenwind, saß auf und galoppierte über Berg und Tal, spähte aus wie ein Ausreiter auf allen Landstraßen und Kreuzwegen von Böhmen her, und wo er einen Wanderer erblickte, der eine Bürde trug, war er hinter ihm her und forschte mit dem Scharfblick eines Korbbeschauers nach seiner Ladung. Zum Glück führte kein Wanderer, der diese Straße zog, Glasware, sonst hätte er für Schaden und Spott nicht sorgen dürfen, ohne einen Ersatz zu hoffen, wenn er auch der Mann nicht gewesen wäre, den Rübezahl suchte.

Bei diesen Anstalten konnte ihm der schwer beladene Steffen allerdings nicht entgehen. Um Vesperzeit kam ein rüstiger frischer Mann angeschritten mit einer großen Bürde auf dem Rücken. Unter seinem festen, sichern Tritt ertönte jedes Mal die Last, die er trug. Der Laurer freute sich, sobald er ihn in der Ferne witterte, dass ihm nun seine Beute gewiss war und rüstete sich, seinen Meisterstreich auszuführen. Der keuchende Steffen hatte beinahe das Gebirge erstiegen; nur die letzte Anhöhe war noch zu gewinnen, so ging es bergab nach der Heimat zu, darum sputete er sich, den Gipfel zu erklimmen; aber der Berg war steil und die Last war schwer. Er musste mehr als einmal ruhen, stützte den knotigen Stab unter den Korb, um das drückende Gewicht zu mindern, und trocknete den Schweiß, der ihm in großen Tropfen vor der Stirn stand. Mit Anstrengung der letzten Kräfte erreichte er endlich die Zinne des Berges, und ein schöner gerader Pfad führte zu dessen Abhang. Mitten am Wege lag ein abgesägter Fichtenbaum, und der Überrest des Stammes stand daneben, kerzengerade und aufrecht, oben geebnet wie ein Tischblatt. Ringsumher grünte Tunkagras, Schwallenzagel und Marienflachs. Dieser Anblick war dem ermüdeten Lastträger so anlockend und zu einem Ruheplatz so bequem, dass er alsbald den schweren Korb auf den Klotz absetzte und sich gegenüber im Schatten auf das weiche Gras streckte. Hier übersann er, wie viel reinen Gewinn ihm seine Ware diesmal einbringen würde, und fand nach genauem Überschlag, dass, wenn er keinen Groschen fürs Haus verwendete und die fleißige Hand seines Weibes für Nahrung und Kleidung sorgen ließe, er gerade so viel lösen würde, auf dem Markte zu Schmiedeberg sich einen Esel zu kaufen und zu befrachten. Der Gedanke, wie er in Zukunft dem Grauschimmel die Last aufbürden und gemächlich nebenher gehen würde, war ihm zu der Zeit, wo seine Schultern eben wund gedrückt waren, so herzerquickend, dass er ihm, wie es bei frohen Idealen sehr natürlich ist, weiter nachging. Ist einmal der Esel da, dachte er, so soll mir bald ein Pferd daraus werden, und hab' ich nun den Rappen im Stalle, so wird sich auch ein Acker dazu finden, darauf sein Hafer wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei, aus zweien vier, mit der Zeit eine Hufe und endlich ein Bauerngut, und dann soll Ilse auch einen neuen Rock haben.

Er war mit seinen Projekten beinahe so weit wie das Milchmädchen aus der Fabel, da tummelte Rübezahl seinen Wirbelwind um den Holzstock herum und stürzte mit einem Male den Glaskorb herunter, dass der zerbrechliche Kram in tausend Stücke zerfiel. Das war ein Donnerschlag in Steffens Herz; zugleich vernahm er in der Ferne ein lautes Gelächter, wenn's anders nicht Täuschung war und das Echo den Laut der zerschellten Gläser nur wieder zurückgab. Er nahm's für Schadenfreude, und weil ihm der unmäßige Windstoß unnatürlich schien, auch da er recht zusah, Klotz und Baum verschwunden waren, so riet er leicht auf den Unglücksstifter. «O!» wehklagte er, «Rübezahl, du Schadenfroher, was habe ich dir getan, dass du mein Stückchen Brot mir nimmst, meinen sauren Schweiß und Blut! Ach, ich geschlagener Mann auf Lebenszeit!» Hierauf geriet er in eine Art von Wut, stieß alle erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus, um ihn zum Zorn zu reizen. «Halunke,» rief er, «komm und erwürge mich, nach dem du mir mein alles auf der Welt genommen hast!» In der Tat war ihm auch das Leben in dem Augenblick nicht mehr wert als ein zerbrochenes Glas; Rübezahl ließ indessen weiter nichts von sich sehen noch hören.

Der verarmte Steffen musste sich entschließen, wenn er nicht den leeren Korb nach Hause tragen wollte, die Bruchstücke zusammenzulesen, um auf der Glashütte wenigstens ein paar Spitzgläser zum Anfang eines neuen Gewerbes dafür einzutauschen. Tiefsinnig wie ein Reeder, dessen Schiff der gefräßige Ozean mit Mann und Maus verschlungen hat, ging er das Gebirge hinab, schlug sich mit tausend schwermütigen Gedanken, machte dazwischen dennoch allerlei Pläne, wie er den Schaden ersetzen und seinem Handel wieder aufhelfen könne. Da fielen ihm die Ziegen ein, die seine Frau im Stalle hatte; doch sie liebte sie schier wie ihre Kinder, und im Guten, wusste er, waren sie ihr nicht abzugewinnen. Darum erdachte er diesen Kniff, seinen Verlust gar nicht daheim zu erzählen, auch nicht bei Tage in seine Wohnung zurückzukehren, sondern um Mitternacht sich ins Haus zu stehlen, die Ziegen nach Schmiedeberg auf den Markt zu treiben und das daraus gelöste Geld zum Ankauf neuer Ware zu verwenden, bei seiner Rückkehr aber mit dem Weibe zu hadern und sich bärbeißig zu stellen, als habe sie durch Unachtsamkeit das Vieh in seiner Abwesenheit stehlen lassen.

Mit diesem wohlersonnenen Vorhaben schlich der unglückliche Mann nahe beim Dorfe in einen Busch und erwartete mit sehnlichem Verlangen die Mitternachtsstunde, um sich selbst zu bestehlen. Mit dem Schlag zwölf machte er sich auf den Diebesweg, kletterte über die niedrige Hoftür, öffnete sie von innen und schlich mit Herzpochen zum Ziegenstalle; er hatte doch Scheu und Furcht vor seinem Weibe, auf einer unrechten Tat sich ertappen zu lassen. Wider Gewohnheit war der Stall unverschlossen, was ihn wunderte, ob's ihn gleich erfreute; denn er fand in dieser Fahrlässigkeit einen Schein von Recht, sein Vorhaben damit zu beschönigen. Aber im Stall fand er alles öde und wüst; da war nichts, was Leben und Odem hatte, weder Ziege noch Böcklein. Im ersten Schrecken meinte er, es habe ihm bereits ein Dieb vorgegriffen, dem das Stehlen geläufiger sei als ihm; denn Unglück kommt selten allein. Bestürzt sank er auf die Streu und überließ sich, da ihm auch der letzte Versuch, seinen Handel wieder in Gang zu bringen, misslungen war, einer dumpfen Traurigkeit.

Seitdem die geschäftige Ilse vom Pfaffen wieder zurück war, hatte sie mit frohem Mute alles fleißig zugerichtet, ihren Mann mit einer guten Mahlzeit zu empfangen, wozu sie den geistlichen Weiberfreund auch eingeladen hatte, der versprach, ein Kännlein Speisewein mitzubringen, um beim fröhlichen Gelage dem aufgemunterten Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu geben, und unter welcherlei Bedingungen er daran Genuss und Anteil haben solle. Sie sah gegen Abendzeit fleißig zum Fenster hinaus, ob Steffen käme, lief aus Ungeduld hinaus vors Dorf, blickte mit ihren schwarzen Augen auf die Landstraße hin, war bekümmert, warum er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten ihr bange Sorgen und Ahnungen in die Bettkammer, ohne dass sie ans Abendbrot dachte. Lange kam ihr kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen Morgen in einen unruhigen, matten Schlummer fiel. Den armen Steffen quälten Verdruss und Langeweile im Ziegenstalle nicht minder; er war so niedergedrückt und kleinlaut, dass er sich nicht traute, an die Tür zu klopfen. Endlich kam er doch hervor, pochte ganz verzagt an und rief mit wehmütiger Stimme: «Liebes Weib, erwache und tue auf deinem Manne!» Sobald Ilse seine Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein munteres Reh, lief an die Türe und umhalste ihren Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzigen Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich missmutig auf die Höllbank. Als das fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging's ihr ans Herz. «Was ist dir, lieber Mann,» sprach sie bestürzt, «was hast du?» Er antwortete nur durch Stöhnen und Seufzen; dennoch fragte sie ihm bald die Ursache des Kummers ab, und weil ihm das Herz zu voll war, konnte er sein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger verhehlen. Da sie vernahm, dass Rübezahl den Schabernack verübt hatte, erriet sie leicht die wohltätige Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht erwehren, welches Steffen bei mutiger Gemütsverfassung ihr übel würde gelohnt haben. Jetzt ahnte er den scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und fragte nur ängstlich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des Weibes Zwerchfell, da sie bemerkte, dass der Hausvogt schon allenthalben umher spioniert hatte, «Was kümmert dich mein Vieh?» sprach sie, «hast du doch noch nicht nach den Kindern gefragt; das Vieh ist wohl aufgehoben draußen auf der Weide. Lass dich auch den Schelm von Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht; wer weiß, wo er oder ein anderer uns reichen Ersatz dafür gibt.» - «Da kannst du lange warten,» sprach der Hoffnungslose. - «Ei nun,» versetzte das Weib, «unverhofft kommt oft. Sei unverzagt, Steffen! Hast du auch keine Gläser und ich keine Ziegen mehr, so haben wir doch vier gesunde Kinder und vier gesunde Arme, sie und uns zu ernähren; das ist unser ganzer Reichtum.» - «Ach, dass es Gott erbarme!» rief der bedrängte Mann, «sind die Ziegen fort, so trage die vier Bälge nur gleich ins Wasser, nähren kann ich sie nicht.» - «Nun, so kann ich's» sprach Ilse.

Bei diesen Worten trat der freundliche Pfaffe herein, hatte vor der Tür schon die ganze Unterredung abgelauscht, nahm das Wort, hielt Steffen eine lange Predigt über den Text, dass der Geiz eine Wurzel alles Übels sei; und nachdem er ihm das Gesetz genügend eingeschärft hatte, verkündigte er ihm nun auch das Evangelium von der reichen Erbschaft des Weibes, zog den welschen Brief heraus und verdolmetschte ihm daraus, dass der zeitige Pfarrer in Kirsdorf zum Vollstrecker des Testaments bestellt sei und die Verlassenschaft des abgeschiedenen Schwagers zu sicherer Hand bereits empfangen habe.

Steffen stand da wie ein stummer Ölgötze, konnte nichts als sich dann und wann verneigen, wenn bei Erwähnung der durchlauchten Republik Venedig der Pfaffe ehrerbietig ans Käpplein griff. Nachdem er wieder zu mehr Besonnenheit gelangt war, fiel er dem trauten Weibe herzig in die Arme und tat ihr die zweite Liebeserklärung in seinem Leben, so warm wie die erste, und, ob wohl sie jetzt aus anderen Beweggründen stammte, so nahm sie Ilse doch für gut auf. Steffen wurde von nun an der geschmeidigste, gefälligste Ehemann, ein liebevoller Vater seiner Kinder und dabei ein fleißiger ordentlicher Wirt; denn Müßiggang war nicht seine Sache.

Der redliche Pfaffe verwandelte nach und nach das Gold in klingende Münze und kaufte davon ein großes Bauerngut, worauf Steffen und Ilse wirtschafteten ihr Leben lang. Den Überschuss lieh er auf Zins aus und verwaltete das Kapital so gewissenhaft wie den Kirchenschatz, nahm keinen anderen Lohn dafür als ein Messgewand, das Ilse so prächtig machen ließ, dass kein Erzbischof sich dessen hätte schämen dürfen.

Die zärtliche treue Mutter erlebte noch im Alter große Freude an ihren Kindern, und Rübezahls Günstling wurde gar ein wackerer Mann, diente im Heer des Kaisers lange Zeit unter Wallenstein im Dreißigjährigen Kriege.