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Wie der Hund dem Wolf Schuhe besorgte
Märchen aus Frankreich

Es waren einmal ein Wolf und ein sehr großer, kräftiger Hund.
Der Wolf besuchte ihn öfters, und sie unterhielten sich gut miteinander.

Eines Tages jedoch kam der Wolf und sagte zu dem Hunde: »Ich muss dir mitteilen, dass ich beschlossen habe, dich aufzufressen, denn du bist genau der Braten, auf den ich heute Appetit habe!« »Aber warum muss gerade ich es sein, mein Lieber?« meinte der Hund. »Wenn du mich nicht frisst, werde ich dir dafür schöne Schuhe beschaffen.« »Gut, abgemacht. Beschaffe sie mir und ich lasse dich dafür am Leben!« Als nun der Wolf nach einiger Zeit zu dem Hund kam, um die Schuhe abzuholen, sagte dieser: «Es wird nicht mehr lange dauern, und du bekommst deine Schuhe. Merke dir aber, dass du mit diesen Schuhen ja nicht durch betaute Wiesen gehen darfst, denn das vertragen sie nicht.« Daraufhin nahm er den Wolf mit und ließ ihn in eine ziemlich tiefe Senkgrube hineinsteigern.



Die Jauche war recht dick und reichte dem Wolf bis zu den Knien hinauf. Dann hieß ihn der Hund wieder heraussteigen und sagte: »Siehst du, was du nun für feine Stiefel hast; sie sind genau so schön und hoch wie die des Bauern, in denen er so stolz herumgeht! « Dann fügte er noch hinzu: »Jetzt sind die Stiefel fertig, vergiss aber nicht, was ich dir gesagt habe, nämlich, dass du Wasser und Tau meiden musst, denn ein zweites Mal mache ich dir auf keinen Fall neue Schuhe. Falls du aber ins Wasser gehst, nimmt dir das Wasser die Schuhe bestimmt weg.« Der Wolf befolgte diesen Rat, legte sich nieder und blieb vorsichtshalber zu Hause. So vergingen ein, zwei, drei Tage, doch dann quälte ihn der Hunger schon so sehr, dass er sich auf die Suche nach Nahrung machte, um sich wieder zu stärken. Er ging durch den Wald, trank etwas Wasser aus dem Bache, ging dann durch diesen hindurch auf die andere Seite. Drüben am anderen Ufer angelangt, sah er wieder mal wohlgefällig auf seine geliebten Schuhe herab, doch wie erschrak er, sie waren spurlos verschwunden.

Jetzt erst erkannte er, dass der Hund ihn betrogen hatte, denn er hatte nur beschmierte Füße bekommen, nicht aber wirkliche Schuhe.

Sogleich lief er zu dem Hund zurück und rief ihm wütend zu: »Was für Stiefel waren das, die du mir beschafft hast, du Betrüger! Nun sind sie fort und ich bin gekommen, um dich sofort zu fressen.« Darauf sagte der Hund: »Ich habe dich gewarnt und dich darauf aufmerksam gemacht, nicht mit Wasser oder Tau in Berührung zu kommen! Hättest du meinen Rat befolgt, so hättest du deine Schuhe lange behalten können. Du hast wohl gehört, was ich dir sagte, dass ich dir ein zweites Mal keine Schuhe mehr verschaffen werde, du kannst machen was du willst, aber neue bekommst du von mir nicht! jetzt bleibt uns nichts anderes übrig als wegen dieser Sache vor Gericht zu gehen.« »Gut, einverstanden! Dann gehen wir«, antwortete der Wolf, und sie machten sich auf den Weg. Sie hatten ausgemacht, sich Zeugen zu suchen und mit diesen zusammen sich an einem bestimmten Tag im Walde einzufinden, um von dort aus gemeinsam zum Gericht weiterzuwandern.

Der Wolf nahm sich den Bären und das Wildschwein, der Hund die Katze und den Hahn als Zeugen mit, und so gingen sie in den Wald.

Voran ging der Wolf, ihm folgte der Bär und am Ende kam das Wildschwein. Der Wolf sagte zu dem Bären: »Du kletterst jetzt auf diesen Tannenbaum hinauf«, – zu dem Wildschwein gewendet, meinte er: »Du aber gräbst dich in dieses Laub ein und sitzt dort ganz stille.

Sobald wir aber alle vier versammelt sind, machen wir uns das Recht selbst. Wenn ihr seht, dass ich den Hund angreife, passt gut auf; zuerst bleibt ganz still und lasst euch nicht blicken, falls ich aber allein mit dem Hund nicht fertig werden sollte, kommt mir rasch zu Hilfe. Dann fassen wir ihn und zerreißen ihn.« Der Hund, der sich nun auch langsam näherte, ahnte nichts von den bösen, hinterlistigen Plänen des Wolfes. Er ging voran, ihm folgten der Hahn und die Katze. So gingen sie zusammen dem Treffpunkt zu.

Der Hahn trippelte und sagte zu sich: »Tak, tak, tak, tak!« Der Bär, der auf der Tanne saß, hörte das, nahm das „tak, tak“ als „ja, ja“ und dachte, sie wollten den Wolf umbringen.

Die Katze, die am Schluss folgte, hatte ihren Schwanz spitz und steif in die Höhe gerichtet. Der Bär sah das und sagte zu dem Wolf: »Schau mal hin! Es sieht recht gefährlich aus, die will uns sicher mit diesem spitzen Spieß erstechen!« Der Wolf wollte den Bären beruhigen und sprach: »Was faselst du da für einen Unsinn! Wir sind kräftig genug, um mit diesen da fertig zu werden. Es gibt keine stärkeren, als wir drei es sind, schon ich allein könnte alle drei zusammen verschlucken! « Darauf der Bär: »Stimmt genau. Sie werden nicht einmal mehr piepsen können, wenn ich sie erst mit meiner Tatze fasse und mit meinen Klauen zerfleische!« Das Wildschwein aber sagte nichts, sondern bewegte nur zustimmend seinen Schwanz unter dem Laube. Als die Katze das sah, dachte sie, es hätte sich eine Maus unter den Blättern versteckt; mit einem Satz war sie dort und biss in den Schwanz. Das Wildschwein sprang erschrocken auf, die Katze erschrak auch dabei und sprang auf den Baum, auf dem der Bär versteckt saß.

Dieser, überzeugt, dass die Katze das Wildschwein mit ihrem Spieß bereits erstochen hatte und jetzt auf ihn losgehen wolle, floh voll Angst höher auf die Tanne hinauf, die Katze hinter ihm her. Weiter konnte der Bär nicht mehr, denn er hatte das Ende des Astes erreicht; dieser brach durch die schwere Last ab, und der Bär fiel auf die Erde hinunter, brach sich das Genick und verendete. Die Katze aber blieb auf dem Gipfel der Tanne ruhig sitzen. Das Wildschwein war indessen, so schnell es konnte, in den Wald davongelaufen, und so blieben auf dem Platz nur der Wolf und der Hund allein zurück.

Der Wolf griff den Hund sofort an, da er noch nicht wusste, was mit seinen Gehilfen geschehen war. Er hatte seit drei Tagen nichts gegessen und war deshalb vor Hunger ganz schwach. Der Hund aber war groß und kräftig wie immer. Da der Wolf mit der kräftigen Hilfe seiner beiden Freunde rechnete, stürzte er sich gleich auf den Hund. Sie fassten einander, der Hund wehrte sich unerwartet tapfer, der Wolf aber, dem niemand zu Hilfe kam, wurde immer schwächer und der Hund biss ihn schließlich tot.

So hatte der böse Wolf sein Spiel verloren. Der Hund, der als Sieger am Platz geblieben war, erhielt nun auch vom Gericht sein Recht zugesprochen. Dieses Dokument versteckte er unter seinem Strohdach, wo es leider später von Mäusen aufgefressen wurde. Seit jener Zeit ist der Hund auf die Katze böse, weil diese die Mäuse nicht gefressen hatte. Die Katze aber fängt seitdem Mäuse, wo sie sie nur erwischen kann. Seit dieser Zeit datiert auch der ewige Hass des Hundes gegen die Katze, der Katze gegen die Mäuse und des Wolfes gegen den Hund.